In den letzten beiden Nächten kam keiner unserer Störche mehr zum Nest zurück, weder darin noch darunter. Auch in Westheim, wo man sie dann vermutet hätte, saßen nur noch zwei Störche, vermutlich die Altstörche. Einerseits könnte man annehmen, dass die Jungstörche zusammen mit den Westheimern ihrem Instinkt gefolgt sind und ihre Reise angetreten haben. Bezogen auf die Westheimer Störche wäre der Termin genau jetzt und damit passend. Bezogen auf unsere Störche wäre es noch längst nicht soweit.
Andererseits hatten unsere Störche doch ein erhebliches Maß an Entwicklungsverzögerung, so dass ein Abflug ohne den Antrieb durch die Westheimer noch gar nicht denkbar sein sollte. Aber wie so häufig in diesem Jahr kennen wir die Antwort auf diese Fragen noch nicht, da vieles für uns einfach völlig neu auftritt und wir das in Hammelburg seit 2009 (Beginn der Übertragung des Storchennestes) noch nicht beobachten konnten. Wir konnten in den letzten Tagen mehrfach beobachten, dass die beiden Storchenfamilien aus Westheim und Hammelburg etwas zusammengewachsen sind. Möglicherweise war der Druck zur gemeinsamen Abreise wesentlich höher, als der Instinkt für den richtigen Zeitpunkt.
Da Störche für weite Flüge die Thermik benötigen und ihren Weg nicht ausschließlich aus Muskelkraft bestreiten, spricht doch viel dafür, dass sie das warme Wetter genutzt haben, um abzureisen.
Damit könnte das turbulenteste Storchenjahr in Hammelburg nun doch noch erfolgreich zu Ende gehen. Sie erinnern sich sicherlich noch daran, dass am 28. Juni ein Gewitter über Hammelburg für einen Blitzeinschlag direkt ins Nest sorgte. Adele hat die Spannung des Blitz damals tötlich verletzt, von Jakob fehlte danach jede Spur. Wie durch ein Wunder haben die drei Küken den Blitzeinschlag überlebt. Die Entscheidung der Unteren Naturschutzbehörde führte dazu, dass die Jungstörche im Nest aufgezogen werden und von Hand gefüttert werden konnten. Der Bund Naturschutz organisierte das Futter, das teils vom Klaushof, teils von örtlichen Anglern geliefert wurde. Ein sechsköpfiges Team (Sebastian, Elisabeth, Linda, Kilian, Rudi und ich) wechselte sich mit dem Füttern ab. Wir fütterten erst täglich, später jeden zweiten Tag und beobachteten das Verhalten der Störche sehr genau.
Die Flugübungen fanden zeitlich leicht verzögert statt. Am 22. Juli (vier Tage später als im Mittel üblich) sprang dann der erste Jungstorch zum Jungfernflug aus dem Nest. Vier Tage später folgte der zweite Storch und erst am 1. August auch der Jüngste.
Eine ganze Zeit lang hielten sich unsere Störche nur auf den nahen Dächern auf, so dass wir uns Sorgen machten, ob sie das Futtersuchen ohne adulte Vorbilder überhaupt lernen würden. Dann kamen die Westheimer Störche ins Spiel, gerade so, als hätten sie von dem Problem in Hammelburg gewusst. Erst kreisten sie mehrfach über der Stadt, dann landeten sie sogar in unserem Nest, als wollten sie sagen: „Los, kommt mit!“
Erst Anfang August stellten wir das Füttern gänzlich ein, um den Druck auf die Störche zu erhöhen. Als wir unsere Störche dann zusammen mit den Westheimern bei der Futtersuche in den Saalewiesen und auf Äckern beobachten konnten, stand fest, dass sie auch diesen letzten Schritt ohne Anleitung ihrer Eltern gelernt hatten. Aber dafür mit Anleitung der Westheimer. Und das war vermutlich das Beste, was ihnen passieren konnte.
Nun sind sie vermutlich abgeflogen. Bezogen auf die Hammelburger und speziell auf unseren Jüngsten viel zu früh. Aber sie sind unterwegs. In den letzten zwei Tagen konnten wir nur noch die Westheimer Altstörche beoachten, die vielleicht wieder über den Winter hier bleiben. Vielleicht.
Ich verabschiede mich für dieses Jahr von Ihnen allen. Wir hatten dieses Jahr so viele Zuschriften wie nie. Darunter waren nicht nur viele Beobachter aus Hammelburg und dem restlichen Deutschland, sondern auch aus Polen, Frankreich und den skandinavischen Ländern. Einige wenige Zuschriften kamen auch aus anderen Ländern. Sogar ganze Schulklassen hatten sich den Störchen gewidmet und Tagebuch geführt. Wir freuen uns, wenn Sie auch im nächsten Jahr unsere Gäste werden – und wenn Sie, wie so viele Storchenfreunde auch, Hammelburg einen Besuch abstatten.
Bei den vielen Helfern (insbesondere zum Füttern) möchte ich mich herzlich bedanken. Es hatte sich immer jemand zum Füttern gefunden. Und die Diskussionen im Team zeigen, dass wir in Hammelburg längst ordentlich Fachwissen angehäuft haben, um auch herausfordernde Situationen zu meistern.
Wie es mit dem Mönchsturm baulich und mit der Technik genau weitergeht, steht noch nicht fest. Die jetzige Position der Kamera ist nur eine Notlösung, die aber längst nicht ideal ist. Wir schauen nämlich gegen den hellen Himmel und können das Nest nicht gut genug abbilden. Besser wäre es wieder an den Mönchsturm zurück zu kehren (der ja jetzt auch einen Blitzableiter bekommen soll).
Ich bedanke mich bei Ihnen allen für Ihre Teilnahme und das rege Interesse. Da der Stream mehrfach abgerissen ist, weiß ich nicht, wie viele Besucher wir genau hatten, aber die Zahl von über 250.000 Gästen haben wir schon länger überschritten.
Ich werde die Kamera noch ein paar Tage zur Sicherheit weiter laufen lassen, dann verabschiedet sich auch das Livebild, das ohnehin nur noch ein leeres Nest zeigt.
Ihnen allen wünsche ich noch einen schönen restlichen Sommer.
Christian Fenn